Wanddicke von Eisengussteilen

Die Wanddicke eines Gussteils spielt eine entscheidende Rolle bei der Herstellung und Verwendung von Eisengussteilen. Sie beeinflusst nicht nur die mechanischen Eigenschaften, sondern auch die Gefügestruktur des Materials. Diese Effekte, die unter dem Begriff “Wanddickeneinfluss” zusammengefasst werden, sind besonders bei Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL) ausgeprägt und stellen eine wesentliche Herausforderung für Konstrukteure und Gießereien dar.

Mechanische Eigenschaften in Abhängigkeit von der Wanddicke

Festigkeit und Härte

Die mechanischen Eigenschaften eines Gussteils, insbesondere Festigkeit und Härte, sind stark von der Wanddicke abhängig. Generell gilt:

  • Dünnwandige Bereiche weisen eine höhere Festigkeit und Härte auf. Diese Zonen kühlen schneller ab, was zu einer feinkörnigeren Gefügestruktur führt. Eine feinere Mikrostruktur erhöht die mechanischen Eigenschaften des Materials.
  • Dickwandige Bereiche zeigen eine geringere Festigkeit. Die langsamere Abkühlgeschwindigkeit in diesen Zonen begünstigt die Bildung eines grobkörnigen Gefüges, das weniger belastbar ist.

Der Rückgang der Zugfestigkeit mit steigender Wanddicke folgt einem exponentiellen Verlauf. Ein Beispiel: Bei Gusseisen EN-GJL-250 beträgt die Zugfestigkeit bei einer Wanddicke von 5–50 mm etwa 250 N/mm². Diese sinkt bei einer Wanddicke von 50–100 mm auf 220 N/mm² und bei 100–200 mm auf 200 N/mm².

Gefügestruktur

Die Gefügestruktur von Eisenguss wird direkt von der Wanddicke beeinflusst. Schnellere Abkühlung in dünnwandigen Bereichen führt zu:

  • Feinerem Korn und erhöhter Härte.
  • Bildung von härteren Phasen, wie beispielsweise Martensit, bei sehr schneller Abkühlung.

In dickeren Bereichen hingegen dominiert ein grobkörniges Gefüge, das die Festigkeit reduziert. Dieser Zusammenhang zwischen Abkühlgeschwindigkeit und Gefüge ist besonders bei Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL) ausgeprägt.

Ursachen des Wanddickeneinflusses

Abkühlgeschwindigkeit

Der Hauptgrund für den Wanddickeneinfluss liegt in der unterschiedlichen Abkühlgeschwindigkeit. Diese wird stark von der Geometrie des Gussteils beeinflusst:

  • Dünnwandige Bereiche kühlen schnell ab, wodurch eine feinere Mikrostruktur entsteht. Dies führt zu erhöhter Festigkeit und Härte.
  • Dickwandige Bereiche kühlen langsamer ab, was zu einer grobkörnigeren Mikrostruktur und damit zu geringerer Festigkeit führt.

Erstarrungsverhalten

Die Erstarrungsgeschwindigkeit beeinflusst nicht nur die Korngröße, sondern auch die Verteilung von Grafit in der Mikrostruktur:

  • Bei Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL) wird die Verteilung der Lamellen durch die Abkühlgeschwindigkeit bestimmt. Schnelle Abkühlung führt zu einer dichteren Verteilung der Lamellen, während langsame Abkühlung ein ungleichmäßigeres Gefüge erzeugt.
  • Bei Gusseisen mit Kugelgrafit (GJS) beeinflusst die Wanddicke die Anzahl und Größe der Grafitkugeln. Dünnwandige Bereiche zeigen kleinere und gleichmäßiger verteilte Grafitkugeln, während in dickeren Zonen weniger, aber größere Kugeln vorherrschen.

Praktische Berücksichtigung des Wanddickeneinflusses

Die Konstruktion von Gussteilen erfordert eine genaue Berücksichtigung des Wanddickeneinflusses, um die mechanischen Eigenschaften optimal an die Anforderungen anzupassen.

Normen und Richtlinien

Normen wie die DIN EN 1561 für Gusseisen mit Lamellengrafit beinhalten spezifische Vorgaben zur Berücksichtigung des Wanddickeneinflusses. Diese Normen helfen Konstrukteuren und Gießereien dabei, die Festigkeit und andere Eigenschaften in Abhängigkeit von der Wanddicke vorherzusagen.

Konstruktionsempfehlungen

Bei der Konstruktion von Gussteilen gelten folgende Empfehlungen:

  • Gleichmäßige Wanddicken: Uneinheitliche Wandstärken sollten vermieden werden, um Spannungen und Verzug zu minimieren.
  • Abrupte Übergänge vermeiden: Sanfte Übergänge zwischen Bereichen unterschiedlicher Wanddicken reduzieren innere Spannungen.
  • Minimale Wanddicken: Diese variieren je nach Gießverfahren. Für Handformguss liegt die Mindestwanddicke oft bei 10 mm, während bei Maschinenformguss 3 mm möglich sind.

Einfluss auf die Bearbeitbarkeit

Die Wanddicke beeinflusst auch die Bearbeitbarkeit des Gussteils. Dünnwandige Bereiche mit höherer Härte sind schwieriger zu zerspanen, während dickwandige Bereiche mit grobkörnigem Gefüge eine bessere Bearbeitbarkeit bieten.

Wanddickeneinfluss bei verschiedenen Gusseisenarten

Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL)

Der Wanddickeneinfluss ist bei GJL besonders ausgeprägt. Die mechanischen Eigenschaften hängen stark von der Abkühlgeschwindigkeit ab, was eine detaillierte Planung erfordert. Schnell erstarrte, dünnwandige Bereiche weisen höhere Festigkeit und Härte auf, während dickwandige Bereiche ein geringeres Leistungsvermögen zeigen.

Gusseisen mit Kugelgrafit (GJS)

Auch bei GJS zeigt sich der Wanddickeneinfluss, allerdings in geringerem Maße als bei GJL. Typische Effekte sind:

  • Größere Grafitkugeln in dickwandigen Bereichen.
  • Geringere Kugelanzahl pro Fläche bei langsam erstarrenden Zonen.
  • Mögliche Grafitentartungen und Flotation bei sehr großen Wanddicken.

Fazit

Der Wanddickeneinfluss ist ein zentraler Aspekt bei der Konstruktion und Herstellung von Eisengussteilen. Mechanische Eigenschaften wie Festigkeit und Härte sowie die Gefügestruktur werden stark durch die Abkühlgeschwindigkeit und damit durch die Wanddicke bestimmt.

Eine enge Abstimmung zwischen Konstrukteuren und Gießereien ist erforderlich, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Durch die Einhaltung von Normen, gezielte Materialwahl und durchdachte Konstruktion kann der Wanddickeneinfluss sinnvoll genutzt und negative Auswirkungen minimiert werden. Insbesondere bei sicherheitskritischen Bauteilen sollten diese Effekte nicht unterschätzt werden.

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